Österreich war immer ein Land, in dem Wasser im Überfluss vorhanden ist. In den letzten Jahren und mit dem Klimawandel verändert sich das, im Sommer oder auch im Winter bleiben die Niederschläge aus. Wie steht es um die Trinkwasserversorgung heute und in Zukunft?
Roman Neunteufel: Österreich ist nach wie vor ein wasserreiches Land, aber die Wetterextreme nehmen zu. Es ist länger trocken, es ist heißer und dann gibt es punktuell starken Regen. Wenn man sich die Jahressummen anschaut, hat sich nicht viel verändert, aber kleinräumig und in kürzeren Perioden wird die Niederschlagsverteilung ungleichmäßiger. Das betrifft auch die Landwirtschaft, weil es nicht gleichmäßig regnet. Dasselbe gilt für die Trinkwasserversorgung, da wären gleichmäßige Niederschläge ideal. In Österreich wird Trinkwasser ausschließlich aus Grundwasser (Brunnen-, Quell- und Tiefengrundwasser) gewonnen, das gibt es weltweit sonst nur noch in Norwegen. Sonst wird meistens auch Oberflächenwasser verwendet. Grundwasser ist qualitativ besser vor Verunreinigungen geschützt (überlagernde Bodenschichten dienen als natürlicher Filter) und überall unter unseren Füßen verfügbar. Flüsse sind immer verunreinigter als Grundwasser (Schwebstoffe, Verunreinigungen durch die Schiffahrt).
Kann man abschätzen, wieviel Grundwasser es gibt und wieviel derzeit verbraucht wird?
Roman Neunteufel: Ja, so eine Grundwasserbilanzierung wurde erstmals 2021 in Österreich, in dem Projekt „Wasserschatz Österreichs“ gemacht. Darin wird der Klimawandel aber auch die steigende Nutzung eingerechnet. Seitdem weiß man, dass sich in manchen Regionen nicht immer mehr Grundwasser entnehmen lässt ohne mit Konsequenzen rechnen zu müssen. Wenn sich die Niederschläge (Verteilung) und der Klimawandel günstig entwickeln, dann geht es sich 2050 noch aus, wie bisher. Wenn das aber nicht der Fall ist, bekommen wir ein Problem.
Welche Faktoren haben sich in den letzten 100 Jahren geändert, die das Grundwasser beeinflussen?
Roman Neunteufel: Ursachen dafür, dass weniger Grundwasser entsteht sind:
- die größeren Entnahmen (gewachsene Bevölkerung, mehr Industrie, mehr Bewässerung),
- die höheren Temperaturen (es verdunstet mehr, die Pflanzen brauchen mehr Wasser, es versickert weniger, die Vegetationsperioden werden länger, dadurch wird mehr Wasser dem Boden entzogen,
- je stärker es in kurzer Zeit regnet, desto weniger versickert und desto mehr rinnt ab,
- die Versiegelung (eigentlich sehen jetzt schon Landesbauordnungen Versickerung am Eigengrund vor, früher wurde eher eine möglichst schnelle Ableitung bevorzugt),
- die Flüsse wurden begradigt (sie fließen schneller, graben sich dadurch mehr ein, das Flussbett sinkt. Weil der Grundwasserspiegel mit den Oberflächenwasserkörpern korrespondiert, sinkt auch das Grundwasser.
- Äcker wurden trockengelegt (um sie befahrbar zu machen) und das hohe Grundwasser in diesen Gegenden gezielt abgeleitet.
All diese Faktoren wirken in dieselbe Richtung sodass die Grundwasserstände eher zurückgehen. Das Ausmaß ist unterschiedlich, die Absenkung kann einen halben Meter, einen Meter oder zwei Meter betragen. All diese Maßnahmen waren über Generationen die beste Handlungsoption. Jetzt, mit dem Klimawandel, erscheint es nicht mehr so schlau, das Wasser so schnell wie möglich abzuleiten. Allerdings benötigt die Rücknahme diverser Maßnahmen Fläche (Renaturierung von Feuchtgebieten, Fluss-Renaturierungen), die nicht vorhanden ist (Siedlungsdichte, Gewerbegebiete). Manche Grundwasserkörper könnten tatsächlich über die Jahre zurückgehen, die Niederschlagsdefizite, die man seit 2015 beobachten kann, sind eher Wetterereignisse.
Wie hängen Grundwasser und Oberflächengewässer zusammen?
Roman Neunteufel: Die beiden korrespondieren. Wenn es stark regnet, sickert das Wasser in die Grundwasserkörper ein, teilweise fließt es oberflächlich davon. So entstehen die Flüsse. Der Grundwasserspiegel im Nahbereich des Flusses und der Flusswasserspiegel haben die gleiche Höhe. Hat es länger nicht geregnet, sickert Grundwasser aus dem umliegenden Grundwasserkörper hinaus in den Fluss und fließt ab. So tragen die Grundwasserkörper dazu bei, dass die Flüsse weiterhin Wasser führen. Flüsse sind natürliche Drainagen in der Landschaft. Charakteristisch für unsere Landschaft, unser Ökosystem, ist es, dass es bei uns genügend Grundwasser im Boden gibt, dass auch bei Trockenheit die Flüsse Wasser führen und es einen aquatischen Lebensraum gibt. Dagegen führen in Spanien z. B. manche Flüsse nur zeitweise Wasser oder fallen gänzlich trocken. Das kann durchaus der natürliche Zustand für manche Gewässer sein. Bei uns in Österreich gilt das nur für sehr wenige Flüsse. Dieses System funktioniert auch in die andere Richtung: Wenn Hochwasser herrscht (z. B. von der Schneeschmelze), und das Wasser durch eine Gegend kommt wo es nicht geregnet hat (z. B. Tullnerfeld, Marchfeld) dann versickert Wasser aus den Flüssen und dotiert die Grundwasserkörper. Aus diesem Grund wären auch die Gletscher und Schneespeicher in den Bergen eine tolle Reserve für den Sommer. Sie liefern Wasser in die Flüsse und können den Grundwasserkörper anreichern. Da wirkt der Klimawandel noch einmal verstärkend, weil wir wegen der höheren Temperaturen weniger Gletscher und Schneeniederschläge und dadurch weniger Wasserspeicher im Winter und in den Alpen haben werden. Dadurch haben die Flüsse früher Niedrigwasser, was nicht gerade zur Grundwasserneubildung beiträgt. Wenn weniger Schnee fällt, rinnt der Regen gleich im Winter ab und nicht erst nach der Schneeschmelze von März bis Juni.
Welche Maßnahmen könnte man gegen das Absinken des Grundwasserspiegels treffen?
Roman Neunteufel: Im Prinzip gibt es viele Möglichkeiten. Einerseits muss man auf der Bedarfsseite eingreifen. In Regionen wo es knapp werden könnte, muss man sich anschauen ob Nutzungen auf andere Wasserressourcen, etwa aus Oberflächengewässern, umgestellt werden können. Ein Beispiel ist der Marchfeldkanal, wo rund 4 m3/s aus der Donau ins Marchfeld abgeleitet werden (von rund 1.500 bis 2.000 m3/s Durchfluss der Donau). Über eine ähnliche Vorgangsweise denkt man jetzt auch wieder nach, bezüglich des Neusiedlersees.
Wer sind die großen Wasserverbraucher in Österreich? Wieviel macht davon die Landwirtschaft aus?
Roman Neunteufel: Wenn man alle Wasserressourcen anschaut (also Oberflächen- und Grundwasser), dann ist die Industrie der größte Wasserabnehmer. Wenn man nur das Grundwasser anschaut, dann ist die Trinkwasserversorgung der größte Verbraucher, gefolgt von der Industrie. Die Landwirtschaft kommt an dritter Stelle (im Österreichdurchschnitt; im Westen wird fast nicht bewässert, im Osten ist die Landwirtschaft in manchen Regionen der größte Nutzer, wie etwa im Seewinkel, Marchfeld).
Inwieweit wäre, Ihrer Einschätzung nach, eine Ausweitung der Bewässerung von landwirtschaftlichen Flächen in Ö möglich bzw. sinnvoll, welche Folgen sind zu erwarten und welches Wasser sollte verwendet werden (Oberflächen- oder Grundwasser)?
Roman Neunteufel: Jedes Jahr, in dem dem Landwirt eine Kultur vertrocknet, wird er über eine Bewässerung nachdenken. Wenn er dann eine hat, wird er sie auch verwenden. Die Landwirtschaft tut sich leichter für die Bewässerung Oberflächenwasser (nicht Grundwasser) zu verwenden. Andererseits ist es nicht wirtschaftlich, Oberflächenwasser über Leitungen sehr weit zu transportieren (was sich für Trinkwasser auszahlt). Außerdem sind die Mengen zur Bewässerung erheblich größer als jene bei Trinkwasser.
Im Marchfeld wird schon etliches bewässert, darum wird die Steigerung in dieser Region in Zukunft nicht mehr so gewichtig sein. In anderen Regionen (z. B. im südlichen Wiener Becken) kann ein sprunghafter Anstieg von Bewässerung bewirken, dass der Grundwasserkörper übernutzt würde. Im Burgenland und in Oberösterreich wird in neuen wasserrechtlichen Bewilligungen festgelegt, dass, wenn ein bestimmter Grundwasserspiegel unterschritten wird, nichts mehr entnommen werden darf, um das Grundwasser zu schonen.
Welche Maßnahmen gäbe es, um das Wasser in der Region zu halten?
Roman Neunteufel: Das sind die Klassiker: Pflügen nicht in Hanglinie/Falllinie, sondern quer dazu. Damit Niederschläge nicht so leicht abfließen. Boden möglichst bedeckt lassen (Gründüngung, Mulchen). Kulturpflanzen anbauen, die weniger Wasser benötigen.
Bei Wassermangel wird es dann zu Nutzungskonflikten kommen. Wie ist in solchen Situationen die Priorisierung?
Roman Neunteufel: Das Wasserrechtsgesetz ist hier relativ klar: Alles, was in höherem Interesse bzw. dem Nutzen der Allgemeinheit dient, hat Priorität. Also bekommt die Trinkwasserversorgung Vorrang. Die Regulierung einer Entnahme zuungunsten einer anderen Entnahme hat man in Österreich bisher noch nicht gekannt und will man natürlich vermeiden. Darüber wird gerade beraten. Wenn die Trinkwasserversorgung priorisiert wird, muss man sich auch überlegen, wofür Trinkwasser verwendet wird bzw. muss die Verwendung von nicht unbedingt nötigen Mengen (Pool, Rasen gießen etc.) eingeschränkt bzw. verboten werden (Haus-Indoor-Bedarf vs. Luxussegment).
Was halten Sie von der Idee, Regenwasser, das von den Feldern abfließt, in Auffangbecken zu sammeln und später für die Bewässerung einzusetzen?
Roman Neunteufel: Speicherteiche sind prinzipiell eine gute Idee, nur muss sichergestellt werden, dass die Teiche auch voll sind, wenn sie benötigt werden. Sie müssen also für eine saisonale Speicherung groß genug dimensioniert werden.
Noch eine Frage zum Schluss: Was ist gemeint, wenn man von „virtuellem Wasser“ spricht?
Roman Neunteufel: Virtuelles Wasser gibt an, wieviel Wasser in unseren Produkten steckt, wieviel Wasser die gesamte Erzeugung von 1 kg Weizen oder 1 kg Rindfleisch benötigt. Wenn man ausrechnet, dass in Österreich ein Mensch 150 l Wasser am Tag verbraucht (trinken, waschen, kochen etc.) kommt man mit dem virtuellen Wasser auf knapp 5.000 l Wasser, wobei 3/4 auf die Ernährung fällt. Wenn man das global betrachtet, ist die Landwirtschaft der größte Wasserverbraucher, wobei der größte Anteil davon Niederschlagswasser ist.
Eine Möglichkeit, den Wasserverbrauch einzelner Produkte darzustellen und vergleichbar zu machen wäre der Wasserfußabdruck (parallel zum CO2-Fußabdruck). Damit könnten die Konsumenten ablesen, wieviel Wasser in die Produktion dieses Lebensmittels geflossen ist. Gemeinsam mit dem CO2-Fußabdruck wäre dann für die Konsumenten eine informierte Entscheidung für umweltfreundlichere Produkte möglich (in der Richtung saisonal und regional). Zusätzlich müssten die Produkte den richtigen Preis haben, einen echten CO2-Preis. Wenn die Kosten, die auflaufen um CO2 technisch zu beseitigen (rund 600–700 Dollar pro Tonne), in die Produkte eingerechnet würden, bräuchte man keine Einfuhrbeschränkungen mehr.